verwahrt und vergessen? psychiatrie in der ddr

„Ich habe da versucht jeden Tag den Abend zu erreichen, mehr war nicht drin“. So fasst Lothar Tiedtke seine Erfahrungen im psychiatrischen Fachkrankenhaus von Stralsund, Anfang der achtziger Jahre zusammen. Der Stationsalltag ist durch katastrophale materielle Bedingungen, durch hohe Medikamentengaben, durch Zwang und Gewalt geprägt.

Chris Timmler, die zehn Jahre in psychiatrischen Anstalten der DDR verbringen muss, wird zur Abtreibung gezwungen, weil ihr Kind angeblich schizophren geboren würde. Die Leipzigerin hält sich mit Arbeiten als Stationshilfe und Putzfrau in der Klinik „über Wasser“. Der Einsatz von Patienten, oft als Arbeitstherapie verklärt, ist zur Aufrechterhaltung der Abläufe in vielen Einrichtungen unerlässlich.

Chris Timmler, Lothar Tiedtke

Schon Anfang der sechziger Jahre versuchen engagierte Ärzte die Psychiatrie in der DDR zu reformieren. Doch die „Rodewischer Thesen“, die 1963 eine aktive Therapie statt Verwahrung und eine Öffnung der geschlossenen Fachkliniken fordern, bleiben Papier. Weitere Anläufe, Patienten auf „Augenhöhe“ zu begegnen, die Rehabilitation und Integration von psychisch Kranken zu verbessern, scheitern in den siebziger und achtziger Jahren. Mangelnde Ressourcen, das Misstrauen der Staatsorgane aber auch der Widerstand von Chefärzten, die um den Verlust von Privilegien fürchten verhindern eine „Demokratisierung“ der Psychiatrie. Für viele SED-Funktionäre hätte es Depressionen, Selbstmord oder Alkoholsucht im sozialistischen Deutschland gar nicht geben dürfen.

Wie in allen medizinischen Bereichen haben auch die Psychiatrien der DDR nach der Staatsgründung mit massiven Personalmangel zu kämpfen. Tausende Ärzte verlassen das Land allein bis zum Mauerbau. Trotz der Euthanasieverbrechen während des Dritten Reiches kehren auch in der DDR viele Klinikleiter auf ihre alten Posten zurück. Der Vermutung, dass es in der DDR eine politische Psychiatrie nach sowjetischem Vorbild gegeben habe, widerspricht eine Untersuchung aus dem Jahre 1994 entschieden. Die Zahl der Psychiater, die als informelle Mitarbeiter der Staatsicherheit tätig waren, ist jedoch mehr als doppelt so hoch wie in anderen ärztlichen Berufsgruppen.

Psychiatrie Stralsund

Lothar Tiedtke wirft die Einweisung in die Psychiatrie, die für ihn auch politisch motiviert war, völlig aus der Bahn. Bis heute kämpft der gelernte Schiffbauer vergeblich um seine Rehabilitierung. Nach zehn Jahren kehrt Chris Timmler 1989 in die Freiheit zurück. Ihre Diagnose, Schizophrenie, hat sich als haltlos erwiesen.

Der Film zeichnet die traumatischen Erfahrungen von Lothar Tiedtke und von Chris Timmler in der DDR-Psychiatrie nach. Er wirft ein Schlaglicht auf die oft menschenunwürdigen materiellen Bedingungen der psychiatrischen Versorgung in der DDR und auf fragwürdige Therapien.