Heimweh nach Themar

1983 schreibt Manfred Rosengarten aus San Francisco einem einstigen Klassenkameraden in Themar von seinem Heimweh. Nach der Vertreibung durch die Nazis hatte er, der Jude aus dem Süden Thüringens, in den USA ein neues Zuhause gefunden. Ganz schnell entspinnt sich ein reger Briefwechsel zwischen Einwohnern von Themar und den jüdischen Schulkameraden oder Nachbarn von damals. 2011 besuchen erstmals Nachfahren der Themarer Juden die kleine Stadt an der Werra. Die Erinnerungen werden eine „heilende“ Wirkung haben. Denn bis 1933 lebten sie hier friedlich Tür an Tür, als Freunde, Nachbarn, Kameraden. Nach dem Ende der Nazi-Barbarei gab es keine Juden mehr in der Region.

Erst in jüngeren Jahren suchen und erforschen engagierte Lokalhistoriker, interessierte Einwohner und Wissenschaftler die Geschichte der Juden in der Region, knüpfen sie Kontakte zu Nachfahren. Sie können weiße Flecken in Ortschroniken mit Worten und Bildern füllen, und oft schlägt die Spurensuche eine Brücke zwischen gestern und heute. Sie finden bewegende jüdische Lebenswege, allerorten.

Wie ein Roadmovie erzählt die Dokumentation von Ulli Wendelmann von einer Jahrhunderte währenden Gemeinschaft. Denn Juden haben zwischen Rennsteig und Werra eine fast tausendjährige Geschichte. Sie waren Händler, Mechaniker, Lehrer, Kaufleute, Bankiers, Fabrikanten. In manchen Orten wie Berkach stellten sie ein Drittel der Einwohner. In Meiningen sorgte der jüdische Bankier Gustav Strupp für wirtschaftliche Impulse weit über seine Heimatregion hinaus. Ohne die jüdische Familiendynastie Simson gäbe es die „Waffen-und Fahrzeugstadt“ Suhl nicht. In Oberhof organisierte Dr. Alexander Lion bis 1936 die Betreuung bei Ski-Wettkämpfen, die Sanitätskolonnen des jüdischen Arztes wurden Vorläufer der allgemeinen Bergwacht. Doch die tausendjährige Geschichte ist ebenso voll von Pogromen, Vertreibungen und – der Auslöschung der jüdischen Bevölkerung mit dem Holocaust.