Achtzigtausend Pflegekräfte fehlen laut Gewerkschaftsangaben im deutschen Krankenhäusern. Chronische Überlastung und mangelnde Unterstützung der Pflegenden begünstigen ein Klima des „Wegsehens“, das tätliche Übergriffe bis hin zum Serienmord geschehen lasse, so ein kritischer Insider des Gesundheitswesens. Wie weiter mit der Krankenpflege?
Allein mit dreißig Patienten auf Station. Das ist in deutschen Krankenhäusern immer häufiger keine Ausnahme mehr. Mitarbeiter werden ständig aus dem freien Wochenende geholt oder zu Überstunden genötigt, weil sonst der Dienstplan zusammenbricht. Der Krankenpfleger Fritz Nolting ist im katholischen St. Franziskus Hospital in Münster tätig. Den Fünfzigjährigen bringen besonders die Nachtschichten ans Limit. „Ich erlebe, dass Freunde, Kollegen, die heulen in der Umkleidekabine, weil sie eine harte Nacht gehabt haben. Und die dann auch wirklich verzweifelt sind. Es kriegt ja keiner mit, keiner sieht mich.“ Die 53-jährige Fachschwester Katrin Schröder arbeitet im kommunalen Klinikum Augsburg. Sie liebt ihren Beruf, doch sie muss immer mehr Patienten in kürzerer Zeit versorgen. Viele davon sind älter und kommen mit Mehrfacherkrankungen in die Klinik. „Ohne ein privates Netzwerk aus Familie, Freunden und Nachbarn hält man den stressigen Wechselschichten, Wochenenddiensten und Überstunden nicht lange stand.“ So ihre eigene Erfahrung.
Karl H. Beine, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Witten-Herdecke, forscht seit Jahrzehnten zum Tabuthema „Gewalt im Krankenhaus“. 2015 legte er eine alarmierende Studie zu Übergriffen von Pflegern und Ärzten im Krankenhaus vor. Ursache der Pflegemisere ist für ihn auch die Privatisierungswelle im Krankenhauswesen, die den Wettbewerb und den Kostendruck ständig anheize. Während in Deutschland eine Fachkraft dreizehn Patienten betreut, sind es in Norwegen oder den Niederlanden maximal fünf. Die Mitarbeiter der Berliner Charité, Europas größtem Krankenhaus, haben deshalb demonstriert und gestreikt. Ein lauter, zorniger Hilferuf, der Wirkung zeigt.
Mit Hochdruck versuchen Krankenhäuser und Politiker Auswege aus dem Pflegenotstand zu finden. So verspricht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Pflege, die im Abrechnungssystem der Fallpauschalen zu kurz kommt, mit einem eigenen Etat auszustatten. Und auch in den Krankenhäusern sucht man nach Lösungen: Im katholischen St. Franziskus Hospital in Münster setzt man auf die „Pflege der Pflegenden“. Im Evangelischen Krankenhaus Mettmann sucht man das Heil in der Digitalisierung aller Arbeitsbereiche und am Universitätsklinik Halle (Saale) wird erprobt, ob Roboter die Krankenpflege entlasten können.
Der Film „Allein auf Station – Wie weiter mit der Krankenpflege“ beschreibt den Alltag von Pflegekräften, benennt Ursachen des Pflegenotstands und stellt Krankenhäusern vor, die nach Modellen und Wegen für eine bessere Pflege suchen.